Totenköpfe und ein martialisches Auftreten sind ihr Markenzeichen. Die gefürchtete Polizeispezialeinheit FAES aus Venezuela ist 2019 allein in der Hauptstadt Caracas für fast ein Drittel der gewaltsamen Tode verantwortlich gewesen. Offiziell wurde sie gegründet, um das Volk von Kriminalität zu befreien, doch Machthaber Maduro nutzt sie für andere Zwecke.
4 de septiembre de 2020
Tobias Käufer
Caracas. Sie kommen meist nachts, zertreten Türen und zerschlagen Fenster. Die Schritte der schweren Stiefel auf den Treppenstufen verbreiten Angst und Schrecken. Für die Spezialeinheit FAES gehört der furchteinflößende Auftritt ebenso zum System wie die maskierten Gesichter, nicht selten hinter einer silbernen Totenkopfmaske versteckt.
Niemand soll die ganz in Schwarz gekleideten Kampfmaschinen identifizieren können. Deswegen werden bei einem Einsatz zuerst die Handys der Anwesenden konfisziert, keine Aufnahmen, keine Zeugen.
Die “Kräfte für spezielle Aktionen” (FAES) wurde vor knapp vier Jahren gegründet – offiziell, um das Volk von Kriminalität zu befreien. Doch längst nutzt sie Machthaber Nicolas Maduro, um Demonstrationen zu unterdrücken und Widerstand in den Armenvierteln auszumerzen, die einst die Machtbasis der sozialistischen Regierung bildeten.
Polizei stoppt Demonstration in Venezuela
Dieses martialische Auftreten verfehlt ihre Wirkung nicht. Wo die FAES-Einheit auftaucht, fürchten die Menschen um ihr Leben. Seit es die FAES-Einheiten gibt, sind Massendemonstrationen in Venezuela weniger geworden. Dafür sind mehrere Millionen Menschen ins Ausland geflohen.
“Albtraum von Terroristen”
Gelegentlich gelingt es dennoch, von den Einsätzen der FAES Videoaufnahmen zu machen. Sie entstehen unter Lebensgefahr, aufgenommen von Nachbarn, die aus der Distanz die Auftritte der Einheit gefilmt haben. So wie in Tachira, als Einwohner die Maschinengewehrsalven aufnahmen. Zumindest akustisch war der Einsatz zu hören. Das Regime bezeichnet die Agenten als “Albtraum von Terroristen”.
Eine der ganz wenigen Szenen, die es auf Video gibt, zeigt die letzten Sekunden im Leben von Jose Arevalo (29), der um sein Leben fleht: “Bruder, du wirst mich nicht töten.” Wenn er kooperiere, könne er gehen, verspricht einer der Polizisten in dem Clip. “Wenn nicht, wirst du sterben.” Arevalo starb. Nach offiziellen Angaben auf der Flucht vor der Polizei. Doch seine Freundin bezeichnet das als Lüge. Arevalo sei zu Hause erschossen worden, sagt die Frau.
Sie wandte sich im vergangenen Jahr an die Nachrichtenagentur Reuters. Nach ihrer Version seien mehr als ein Dutzend Uniformierte und eine Person in Zivil in die Wohnung Arevalos gestürmt, sie selbst habe die Wohnung mit den beiden Kindern verlassen müssen. Dann habe sie gehört, wie ihr Freund geschlagen worden sei, danach fielen Schüsse. Schließlich hätten die Polizisten die Leiche aus dem Haus getragen. Später seien einige wiedergekommen und hätten gegen die Mauern geschossen, um eine Schießerei vorzutäuschen.
Keymer Avila, Wissenschaftler und Berater der Menschenrechtsorganisation PROVEA, sagte in einem Bericht von “Caracas Cronicles”, dass vor allem die Armenviertel von der Gewalt betroffen seien. In den ehemaligen sozialistischen Hochburgen ist in den letzten Jahren die Stimmung gekippt. “Die Menschen werden gleich dreimal zum Opfer. Zunächst von einem politischen und wirtschaftlichen System, dass sie ausgrenzt und zur Armut verurteilt, dann von Kriminalität und sozialer Gewalt und schließlich von einem Justizsystem, das erst ihre Kinder tötet und sie anschließend auch noch stigmatisiert.” Die Methoden der FAES seien eine Konsequenz einer Art Freifahrtschein und Straffreiheit.
898 gewaltsame Tötungen in Caracas
Allein im vergangenen Jahr hat die Menschenrechtsorganisation “Monitor de Victimas” 898 gewaltsame Tötungen in Caracas gezählt. Für fast die Hälfte (340) seien Sicherheitskräfte verantwortlich gewesen. Fast an jedem Tag wird allein in der venezolanischen Hauptstadt ein Mensch durch die Polizei getötet. Auf das Konto der wegen ihrer tödlichen Gewalt besonders gefürchteten Sondereinheit FAES gehen allein 232 Tötungen. So sind die venezolanischen Sicherheitskräfte dafür mitverantwortlich, dass Caracas als die gefährlichste Hauptstadt der Welt gilt. Dabei ist ihre offizielle Aufgabe eigentlich die Kriminalitätsbekämpfung.
“Die FAES gehört zu einem System von fünf repressiven Einheiten”, sagt Alfredo Romero von der Nichtregierungsorganisation Foro Penal im Gespräch mit dieser Zeitung. Seine NGO dokumentiert seit Jahren die Repression des venezolanischen Staates gegenüber regierungskritischen Kräften. Die FAES-Polizei sei neben dem Inlands- und dem Militärgeheimdienst sowie den Streitkräften und der Justiz Teil eines Systems, das die Bevölkerung mithilfe von sozialer Kontrolle gezielt unterdrücken solle.
Im Jahr 2018 haben die “Todesschwadronen”, wie sie in Venezuela (32 Millionen Einwohner) auch genannt werden, im ganzen Land 5287 Personen getötet. Zum Vergleich: In Deutschland (83 Mio.) wurden im gleichen Jahr elf Menschen durch die Polizei getötet, in den gerade durch rassistische Polizeigewalt erschütterten Vereinigten Staaten (328 Mio.) waren es rund 1000. Selbst die ebenso gewaltbereiten Polizeikräfte in Brasilien kommen im Vergleich pro Einwohner nicht einmal annähernd an die Zahlen. Trotz hoch umstrittener Einsätze in den Favelas, bei denen auch immer wieder unschuldige Kinder und Jugendliche sowie Zivilisten getötet werden.
In Venezuela lautet die offizielle Begründung oft “Widerstand gegen die Staatsgewalt”. Das alles ist nachzulesen und dokumentiert. UN-Menschenrechtskommissarin Michele Bachelet berichtete unter der Berufung auf Opfer- und Zeugenaussagen im vergangenen Jahr: Es sei davon auszugehen, dass viele dieser Todesfälle von den Sicherheitskräften ausgeführte außergerichtliche Hinrichtungen seien.
Immer mehr Kollateralschäden
Einschätzungen, zu denen auch renommierte Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch, Amnesty International oder Transparency kommen. “In einem Land, wo das Justizsystem dazu benutzt wird, Oppositionelle zu verfolgen, statt Verbrechen zu untersuchen, nehmen venezolanische Sicherheitskräfte die Justiz in ihre eigenen Hände, töten oder verhaften willkürlich Menschen, denen sie vorwerfen, irgendwelche Verbrechen begangenen zu haben, ohne dass sie Beweise vorlegen”, sagt Amerika-Direktor Jose Miguel Vivanco von Human Rights Watch.
Venezuelas Regierung wies die Vorwürfe lange zurück. Das Außenministerium sprach von verdrehten Tatsachen, das Kommunikationsministerium von einer Kampagne gegen sein Land. Machthaber Maduro konnte sich auf die Spezialeinheit verlassen. Seit ihrer Gründung haben die Massenproteste deutlichen nachgelassen, denn Widerstand gegen die Staatsgewalt kann sehr schnell zu tödlichen Schüssen der FAES führen. Dabei gibt es offenbar immer mehr Kollateralschäden, die nicht mehr verheimlicht werden können. Vor wenigen Tagen gerieten acht FAES-Beamte in den Fokus, denen die Ermordung zweier Mitarbeiter eines eigentlich regierungsnahen linken Fernsehsenders in Cabimas im Bundesstaat Zulia vorgeworfen wird.
Generalstaatanwalt Tarek William Saab musste das Geschehen als “beschämend” einräumen. Die FAES-Mitglieder hätten versucht, die außergerichtlichen Hinrichtungen als bewaffnete Konfrontation darzustellen und so zu fälschen. Eine Praxis, die man bislang aus der Zeit des rechtsgerichteten Präsidenten Alvaro Uribe vom Militär im Nachbarland Kolumbien kannte und die als Skandal um die “falsos positivos” (gefälschte Beweise) in die Geschichte einging. In Kolumbien töteten die Militärs Zivilisten, die sie nachträglich als Guerilla-Angehörige ausgaben, um anschließend Sonderprämien und Urlaub zu kassieren.
Auch im venezolanischen Cabimas ist die Motivationslage ähnlich: Die FAES-Beamten sollen die Ausrüstung des Fernsehsenders gestohlen haben. Der Vorfall ist für Venezuelas Regierung auch deshalb so brisant, weil er anschließend im Netz eine breite Protestwelle auch bei der sozialistischen Jugend auslöste. Und auch die Familie will nicht länger schweigen: “Für unsere ermordeten Kinder werden wir nicht ruhen, bis der Gerechtigkeit Genüge getan ist”, heißt es in einer Stellungnahme, die von der Familie eines der Opfer veröffentlicht wurde.
Publicado originalmente en: Redaktionsnetzwerk Deutschland